Wann haben Sie das letzte Mal geweint? Vor Angst, vor Schmerzen, vor Freude, aus Dankbarkeit?
Wann haben Sie das letzte Mal Tränen vergossen? Kleine Tränen? Große Tränen? 

Ich möchte in diesem Zusammenhang eine kleine Geschichte erzählen. 

Vor ein paar Tagen verfuhr sich ein kleines Auto in den engen Straßen unserer Altstadt. Die Fahrerin kam nicht mehr vor und nicht zurück. Der aufheulende Motor und das laute Bremsen ließ die Anwohner ihre Türen öffnen und zusehen. Die verzweifelte Fahrerin fuhr ruckartig ein Stück vor und ruckartig ein Stück zurück, meist in die Büsche und immer haarscharf an den Blumentöpfen vorbei. Eine Truppe älterer Touristen schaute zu, kommentierte und belächelte die Fahrerin leise . Auch die in ihren geöffneten Türen stehenden Anwohner sahen zu und taten nichts. Ich kam wegen des anhaltenden Motorengeräusches hinzu und fragte, ob nicht jemand helfen und den Wagen anstelle der Frau rausfahren könnte. Es meldete sich niemand. Als ich der verzweifelten Fahrerin meine Hilfe anbot, entstieg sie schnell ihrem Fahrzeug und gab mir erleichtert den Autoschlüssel .

Auch ich hatte Schwierigkeiten, rückwärts aus der engen Gasse zu fahren. Als ich das Auto der Frau wieder übergab, weinte sie vor Freude und vor Dankbarkeit.
Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. 

Weg waren die Zuschauer und ich setzte meinen Weg nach Hause nachdenklich fort. In einem bin ich mir sicher.
Ich glaube nämlich ganz fest, dass jeder, der an diesem Tag dabei war, sich das nächste Mal eines Besseren besinnt und zur Hilfe eilen wird.

                                                                                                      Anja von Waldow